Freitag, 23. Januar 2015
Ich schreibe gern
Falls jemand Interesse hat, mit mir eine Geschichte zu schreiben, kann sie oder er sich gerne bei mir melden per Mail: zombieschulmaedchen@hotmail.com

Die Idee ist folgende: Einer schreibt den Anfang einer Geschichte, hört plötzlich mittendrin auf und da soll der andere weiterschreiben und immer so fort :)

Dadurch entstehen teilweise total tolle Storys.

Ich mag das.

Also feel free to write me

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Wieso fängst Du nicht hier an, lässt Fremdbeiträge zu und wer interessiert ist, schreibt weiter? Da wirst Du mehr Schreibwillige finden ...
Idee ist nämlich super, hab ich mal vor 10,12 Jahren mal gestartet. Müsste noch iwo im Internet zu finden sein ...

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und du weisst nicht mehr wo oder? :)

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Puh, ist ewig her aber das Internet vergisst ja angeblich nichts. Zu finden ist es bestimmt.

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Wie wär's damit?
Im Kommentar zu diesem Kommentar schicke ich mal eine Geschichte, die aus meiner Sicht eigentlich fertig war. Aber man könnte sich natürlich schon Gedanken darüber machen, wie es mit "ihm" draußen weiter geht, oder, was ich noch interessanter fände, wie sich das Ganze aus "ihrer" - Melanies - Sicht dargestellt hat und wie sie damit in der Folge zurechtkommt.
Aber vielleicht spricht dich die Geschichte ja auch gar nicht an...

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Chirurgischer Eingriff

I. Intro

Er war die fünf Treppen bis zum zweiten Obergeschoss des alten Mietshauses zügig hinaufgestiegen und stand jetzt vor der mächtigen Holztür ohne Spion und mit einer nachträglich eingesetzten Milchglasscheibe. "M. Zeisig" war mit dickem, schwarzem Filzstift auf ein mittlerweile angegilbtes Papier geschrieben, das über einer schwarzen Metallplatte klebte.

Er musste lächeln: Zeisig, das passt. Melanie Zeisig - im Telefonbuch hatte sie dummerweise den Vornamen ausschreiben lassen, was ihr zweifellos hin und wieder Anrufe irgendwelcher perverser Widerlinge eintrug - Melanie Zeisig also war schmal und zierlich und hatte stets Mühe, den Kinderwagen die Treppen hinauf oder hinunter zu bugsieren. Trotzdem hatte er, seit er ein Auge auf sie geworfen hatte, nie beobachtet, dass Nachbarn ihr dabei geholfen hätten. Die Leute in dem Achtfamilienhaus kümmerten sich offenbar nicht um einander. Das kam ihm gelegen.

Melanie Zeisig wohnte allein mit ihrem Kleinkind, eine alleinerziehende junge Mutter. Vielleicht war sie Studentin, oder sie ging einer anderen, etwas einträglicheren Beschäftigung mit variablen Anfangs- und Endzeiten nach - darum hatte er sich nicht gekümmert. Auch wusste er nicht, wohin sie ihr Kind jeweils für die Zeit ihrer, jedenfalls auf Werktage beschränkten, Tätigkeit brachte.

Jetzt, am frühen Samstagnachmittag, musste sie zu Hause sein. Und sie würde, wenn er läutete, die Tür weit öffnen. Erst neulich hatte er, während er zum Schein in eine der obersten Etagen hinauf stieg, gesehen, wie sie einem Vertreter die Tür einladend weit öffnete. Auch eine Sicherheitskette besaß die Tür anscheinend nicht, oder zumindest benutzte Melanie Zeisig keine solche. Sie ist, dachte er, der Typ, der immer wieder hereinfällt und trotzdem am Vertrauen gegenüber der Welt unerschütterlich festhält. Wahrscheinlich war auch das Kind ein Unfall, und der Vater ein Lump, der sich alsbald aus dem Staub gemacht hatte. "Böse Welt", murmelte er, während er sein Köfferchen abstellte, den Klingelknopf drückte und mit der anderen Hand die Maske aus leichter Wolle über sein Gesicht zog, die nur seine Augen freigab.

Gleich darauf hörte er, wie die junge Frau drinnen auf die Wohnungstür zuging. Jetzt kam die kritischste Phase seines Unternehmens, alle Unwägbarkeiten lagen im nächsten Augenblick. Die Tür ging auf und er sah, wie eine freundliche Frage auf dem Gesicht der jungen Frau erstarb, als sie den Mann mit der Maske erblickte. Sie zuckte erschrocken zurück, wollte die zu weit geöffnete Tür wieder zuwerfen; aber er war schon in der Wohnung, drehte mit einer Hand die Frau mit dem Rücken zu sich selbst, presste ihr mit der anderen das vorbereitete Taschentuch aufs Gesicht, drückte dabei ihren Hinterkopf gegen seine Brust, holte mit der nun wieder freien Hand das Köfferchen herein, und während er mit dem Fuß die Wohnungstür zuschob, spürte er schon, wie der kleine Zeisig in seinem Arm erlahmte - das Chloroform begann zu wirken.

Schnell sah er sich um: Vier Türen führten vom Flur aus in die verschiedenen Räume der Wohnung. Mit der benommenen, nicht ganz bewusstlosen Frau im Arm ging er durch die offene Tür zu seiner Rechten und fand sich in einem bescheidenen, aber ordentlich hergerichteten Wohnzimmer wieder. Er holte aus der Tasche zwei vorbereitete Nylonschnüre und fesselte zunächst das rechte Handgelenk der wehrlosen Frau seitlich an das weiße Gestänge der Zentralheizung. Anschließend band er das linke Handgelenk an die andere Seite des Heizkörpers, ließ der Frau hier aber einige Bewegungsfreiheit: gerade so viel, dass sie mit der linken Hand nicht an den Knoten der rechten Fessel gelangen konnte. Auch achtete er darauf, die Fesseln nicht zu eng zuzuziehen. Er wollte der unglücklichen Frau nicht mehr Ungelegenheiten bereiten als nötig. Vielmehr zog er jetzt aus einer anderen Tasche ein kleines Probierfläschchen mit einem Parfum und fächelte seiner Gefangenen den Duft unter die Nase. Tatsächlich kam sie schnell wieder zu Sinnen und starrte ihn aus weit aufgerissenen, wunderbar dunkel-grünbraunen Augen angstvoll an.

"Was wollen Sie?", flüsterte sie tonlos, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Er legte einen Zeigefinger an die Stelle, wo sie seinen Mund vermuten musste, um ihr zu bedeuten, dass sie sich ruhig verhalten möge. Dann zeigte er auf sie und machte eine verneinende Handbewegung: Von dir will ich ja gar nichts. Vielleicht hatte sie verstanden oder war einfach nur verwirrt, jedenfalls sagte sie nichts mehr. Sie musste wohl auch einsehen, dass sie ihm momentan ausgeliefert war.

Er kehrte in den Flur zurück und inspizierte von dort aus die anderen Räume. Gegenüber dem Wohnzimmer war ein kleines Bad, wo neben einer alten Wanne mit Brause ein WC zu sehen war. Dort hinein warf er das chloroformgetränkte Papiertaschentuch und spülte es in die Kanalisation. Sein Handschuh stank allerdings weiter nach der Chemikalie.

Neben dem Badezimmer lag die Küche, im Vergleich zum Rest der Wohnung überraschend groß, aber gleichfalls bescheiden eingerichtet. Auf einem alten Gasherd stand ein schwarzer, emaillierter Topf, in dem eine Schoppenflasche im Wasserbad auf kleiner Flamme erhitzt wurde. Das ausströmende Gas war es auch, das das einzige Geräusch in dem Raum verursachte.

Das Zimmer gegenüber der Küche, neben dem Wohnzimmer, identifizierte er als Schlafzimmer, mit einem großen Holzschrank, einem mit einer bunten Wolldecke zugedeckten Erwachsenenbett, einer Wickelkommode und einem Kinderbettchen, in dem sich gerade ein kleines Kind von einer Seite zur anderen drehte, außer seinem leisen Atmen sonst aber nichts von sich vernehmen ließ.

Kaum hatte er allerdings das Schlafzimmer betreten, hörte er von nebenan ein Rumoren: Die Mutter des Kindes riss an ihrer Fessel und damit auch am Heizkörper. Zudem rief sie mehrmals halblaut: "Nein!"

Sofort ging er wieder zu ihr hinüber, nahm im Hinausgehen noch ein Kinderhemdchen mit und drohte der aufgeregten Frau, sie damit zu knebeln. Sie ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken und sagte eindringlich: "Bitte, tun Sie meiner Tochter nichts!" Und nochmals, mit allem Nachdruck: „Bitte!!!“ Er legte seine rechte Hand auf die Herzgegend und hob sie anschließend mit drei ausgestreckten Fingern zum Schwur hoch, um die Sorgen der jungen Mutter zu zerstreuen. Dann hielt er wieder den Zeigefinger vor seinen Mund, auf dass sie leise sei, und drohte nochmals mit dem Knebel. Resignierend flüsterte sie: "Ich bin ja schon still. Bitte, tun Sie uns nichts. - Was wollen Sie denn nur? Bei uns werden Sie keine Reichtümer finden!" Er ging neben der Frau in die Hocke und legte ihr sachte die Hand auf die Schulter, um sie zu beruhigen; aber besonders erfolgreich war er verständlicherweise damit nicht. Prüfend und voller Zweifel sah sie ihm tief in die Augen - das Einzige, was die Maske von seinem Gesicht freigab. Er hielt ihrem Blick stand und versuchte, sie aus seinen Augen heraus anzulächeln. Vielleicht besänftigte sie das tatsächlich ein wenig, jedenfalls wandte sie den Blick von ihm ab und schien sich mit ihrer unglücklichen Situation fürs Erste einrichten zu wollen.


II. Warten

Es war kurz nach zwei Uhr, er hatte also noch fast eine Stunde Zeit. Er nahm das Köfferchen aus dem Flur mit in die Küche und öffnete die beiden dreiteiligen Flügel des doppelt verglasten Fensters einen Spalt. Die Position war, wie er sie sich gewünscht hatte; man sah auf den Platz zwischen den beiden Straßen; das dort aufgebaute Podium lag halb zu seiner Rechten.

Hier sollte um drei Uhr ein amtierender Minister des Landes sprechen. Es herrschte Wahlkampf; deshalb schienen sich die Politiker plötzlich für das Volk zu interessieren, gaben sich kommunikationsbereit, indem sie die potentiellen Wähler und Wählerinnen mit Monologen eindeckten. Und als wäre das nicht genug, glotzten ihre Visagen von tausenden von Plakaten auf die wehrlosen Bürger und Bürgerinnen herab. Auch auf dem Platz gegenüber sah man die Konterfeis der sogenannten Spitzenpolitiker, und während die einen den Wechsel propagierten, befanden die anderen sich selbst als „Weltklasse“. Und selbstverständlich gab es auch ein großes Plakat, das auf die anstehende Rede des Ministers hinwies. Zumindest aus der Ferne konnte man kein Thema der Rede ausmachen, bloß in fetten Lettern den Hinweis, dass er komme. Noch war der Herr jedoch nicht eingetroffen; vielmehr hatte sich eine Handvoll Neugieriger auf dem Platz eingefunden, die irgendwelchen untergeordneten Funktionären und deren Helfern bei den Vorbereitungen zusahen.

Er selbst interessierte sich nicht für Politik. Als er den Auftrag angenommen hatte, hatte sein Auftraggeber ihn sogar zwischen zwei möglichen Zielobjekten wählen lassen: dem besagten Minister oder der Fraktionsvorsitzenden der größeren Regierungsfraktion. Um beide beseitigen zu lassen, reichten die finanziellen Mittel des Auftraggebers – eines Gymnasiallehrers, wie seine Recherchen ergeben hatten – anscheinend nicht aus. So hatte er sich für den Minister entschieden; im Zweifelsfall war ihm ein männliches Ziel lieber, auch wenn ihm diese emotionale Präferenz etwas unangenehm war, weil sie ihm unprofessionell erschien und ihn zudem der Widerspruch zu dem im Grundgesetz verankerten Gleichheitsgrundsatz störte.

Er legte sein Köfferchen auf den Küchentisch, klappte es auf und nahm die Einzelteile eines Präzisionsgewehrs heraus, das er zu Beginn seiner Laufbahn mit überraschend wenig Schwierigkeiten in Belgien erstanden hatte und das ihm seither treue Dienste leistete. Mühelos und flink baute er die Teile zusammen, wie es ihm im Lauf der vergangenen Jahre zur Selbstverständlichkeit geworden war. Auch das zielgenaue Schießen hatte er sich selbst antrainiert, auf einsamen Höhen des nahe gelegenen Mittelgebirges, aus verschiedenen Entfernungen zum Ziel und unter den verschiedensten Windverhältnissen. Es war damals ein hartes Stück Arbeit gewesen, und mehr als einmal hätten ihn anfängliche Misserfolge fast entmutigt. Aber inzwischen hatte er Sicherheit darin gewonnen, wie in Abhängigkeit von Entfernung und Wind das Zielfernrohr jeweils einzustellen war, und er galt mittlerweile als einer der Besten seiner Gilde.

Er klinkte das Zielfernrohr ein und visierte die Mikrofone auf dem Podium an. Sie mochten gut 50 Meter entfernt sein, und bisher krümmte kein Wind die spärlichen Haare der aufgeregten Funktionäre - ideale Bedingungen also. Er lud das Gewehr, rückte einen Küchenstuhl heran und visierte wieder. Dann lehnte er die Waffe vorsichtig neben dem Fenster an die Wand.

Gerade wollte er wieder zur Uhr schauen, als er aus dem Schlafzimmer ein Quengeln hörte, das gleich darauf in lautes Kinderweinen überging. Obendrein ließ sich sofort auch die Frau wieder vernehmen, die durch die Wohnung rief: "Bitte, tun Sie ihr nichts! Sie hat doch bloß Hunger!"

Unverzüglich ging er zur Wohnzimmertür und bedeutete der Frau von Neuem, still zu sein. Dann betrat er das Schlafzimmer, zog sich unterwegs die Wollmaske vom Gesicht und trat an das Kinderbettchen. Der Anblick des fremden Mannes beruhigte das Kind keineswegs, es begann im Gegenteil, noch lauter zu weinen.

Vorsichtig nahm er die Kleine heraus und lehnte sie mit dem Gesichtchen gegen seine Schulter, summte leise vor sich hin und ging, ihren Hinterkopf mit seiner linken Hand stützend, in die Küche. Dort fischte er die Schoppenflasche aus dem Topf, hielt sie sich an die Wange und befand sie als zu heiß. Stellte das Gas ab, ging mit dem nicht mehr ganz so laut weinenden Kind zur Spüle, drehte den Wasserhahn auf und kühlte die Schoppenflasche in dem allerdings sehr spärlichen Wasserfluss. Wartete, bis sich die Temperatur am gekühlten Glas und im Inneren der Schoppenflasche angeglichen hatte, prüfte, kühlte noch ein wenig, wartete, prüfte, war zufrieden. Setzte sich mit der Kleinen auf den Küchenstuhl, legte das Kind in seine rechte Armbeuge, mit dem Oberarm sein Köpfchen stützend, und führte ihm mit der linken Hand den Schoppen zu. Sofort begann die Kleine, gierig zu nuckeln, und legte ihre winzigen Fingerchen um die Flasche und um einen seiner vergleichsweise riesigen, durch die Handschuhe zusätzlich vergrößerten Finger. Dabei sah sie ihn groß an, mit den gleichen grünbraunen Augen wie zuvor ihre Mutter.

Nachdem die Flasche halb geleert war, zog er sie dem Kind aus dem Mund und brachte es in eine steilere Lage. Aber noch während er der Kleinen mit einem Geschirrtuch den Mund abtupfte, begann sie energisch zu protestieren, und bald darauf hatte sie sich durchgesetzt und bekam den Rest des Menüs. Sie leerte tatsächlich die ganze Flasche, wobei das Tempo gegen Ende allerdings merklich nachließ. Zuletzt schien sie mehr Interesse an dem fremden Mann als an der Schoppenflasche zu haben. Er stellte die leere Flasche auf die Anrichte, faltete das Geschirrtuch in Längsrichtung und legte es sich über die Schulter, bevor er die junge Dame in einer aufrechten Stellung darauf bettete. Er summte wieder leise vor sich hin und rieb dem nunmehr friedlichen Kind mit der linken Hand behutsam den Rücken. Nach kurzer Zeit stieß die Kleine zweimal vernehmlich auf, bald darauf war sie eingeschlafen. Er trug sie wieder zu ihrem Bettchen und legte sie sanft darin ab, bäuchlings, für den Fall, dass sie doch noch einen Teil der Mahlzeit ausspeien würde. Eine Spieluhr, die er am Bettgestell entdeckte, setzte er in Betrieb; es erklang in dünnen Tönen ein Kinderlied.

Er streifte sich die Maske wieder übers Gesicht, holte in der Küche die leere Schoppenflasche und transportierte sie ins Wohnzimmer, um damit die vermutlich noch immer besorgte Mutter zu beruhigen. Diese hatte offenbar jedoch, so gut es eben ging, seine Aktivitäten belauscht, denn sie zeigte sich vom Anblick der leeren Flasche nicht sonderlich überrascht. Statt dessen schenkte sie ihm zum ersten Mal eine Andeutung von Lächeln. Vielleicht hatte sie begriffen, dass er ihr und ihrer Tochter nichts Böses wollte. "Man hätte sie noch wickeln müssen", sagte sie halb zu sich selbst und setzte dann, an ihn gewandt, schnell hinzu: "Aber das mach' ich lieber selbst!" Er musste unter seiner Maske lächeln, nickte der Frau kurz zu und kehrte an seinen Fensterplatz in der Küche zurück.

Draußen hatte sich, wie er befriedigt feststellte, doch eine stattliche Zahl an Zuschauern versammelt. Je mehr Gedränge, desto besser seine Chancen fürs Untertauchen. Einer der Funktionäre hatte inzwischen das Wort ergriffen und redete auf die Menge ein. Wenn er sich etwas Mühe gab, konnte er sogar die Worte verstehen: Die Rede war von einem neuen Schultyp, von dem sich die Landesregierung offensichtlich Wunderdinge versprach. Wo das dafür nötige Geld eingespart werden solle, rief jemand aus dem Publikum. Das sei schon alles durchgerechnet, antwortete der Politiker. Solche Parolen kannte man aus den Fernsehnachrichten, er hatte kein Interesse daran und hörte nicht weiter zu.

Wie sollte er nun die weitere Wartezeit überbrücken? Langsam ließ er seinen Blick durch die Küche schweifen, verweilte an einem alten, weiß lackierten Küchenschrank mit Vitrinenoberteil, der in naturfarben lasiertem Holz sicherlich respektabler ausgesehen hätte als mit dem weißen, hie und da abgeblätterten Lack. In der Ecke stand ein bis unter die Decke reichendes, tiefes Küchenregal, stillos modern, die weiße Kunststoffschicht verkleidete vermutlich billige Pressspanplatten. Daneben ein Kühlschrank und eine Anrichte, auf der ein Topf und ein Teller, rot von Tomatensoße, abgestellt waren - vermutlich die letzten Zeugen des Mittagessens. Aber mit Geschirrspülen die Wartezeit zu überbrücken, dazu fehlte ihm die Lust.

Seine Augen wanderten zur Spüle mit dem halb verstopften Wasserhahn - der Wasserhahn! Er schlenderte hin und drehte ihn nochmals auf: Ja, da kam viel zu wenig Wasser heraus; wahrscheinlich war das Sieb am Ausfluss des Hahns verstopft. Er versuchte es abzuschrauben, doch vergeblich, es war festgebacken. Suchte nach Werkzeug und entdeckte statt dessen im unteren Teil des Vitrinenschranks Essig und Öl. Mit dem Essig als Kalklöser befeuchtete er das Geschirrtuch, das er vorhin noch über die Schulter getragen hatte. Dann wienerte er damit den Hahn und umwickelte ihn schließlich mit dem Tuch. Anschließend setzte er die Suche nach Werkzeug fort, fand dabei in einer Schublade unter der Anrichte einen Nussknacker, der aus zwei in ein Gelenk mündenden Metallhebeln bestand, an deren miteinander verbundenen Enden zwei verschieden große, geriffelte Mulden Platz für die Nüsse boten. "Damit könnt's gehen", befand er und klemmte das umwickelte Ende des Wasserhahns in die kleinere der Mulden, presste den Nussknacker zusammen und ruckte damit hin und her. Nach einigen Versuchen gab das Sieb zäh und widerstrebend nach und ließ sich schließlich abschrauben. Als er probehalber den von seinem Sieb befreiten Hahn öffnete, ergoss sich wirklich ein satter, unsteter Strahl platschend in die Spüle. Einige grobe Kalkkörner ließen sich sofort herausspülen, als er den abgeschraubten Teil umgedreht in den Wasserstrahl hielt. Fester sitzende Masse löste er mit einem kleinen, recht schmalen und spitzen Küchenmesser, das er gleichfalls in einer der Schubladen fand. Aber eine weitere Durchlaufprobe stellte ihn noch ganz und gar nicht zufrieden. Daher nahm er ein Wasserglas - vermutlich ein ehemaliges Senfglas, wie er schmunzelnd feststellte - aus der Vitrine, füllte Essig hinein und versenkte das Sieb in der Flüssigkeit.

Mittlerweile war es drei Uhr, aber ein kurzer Blick aus dem Fenster zeigte ihm, dass der angekündigte Minister noch immer nicht erschienen war. Die Wartenden, inzwischen noch zahlreicher, wurden weiterhin vom Vorredner bei der Stange gehalten und zollten ihm gelegentlich artigen Beifall; vereinzelt waren jedoch auch Buh-Rufe und Pfiffe zu vernehmen. -

Beunruhigende Schleifgeräusche drangen aus dem Wohnzimmer, sofort suchte er nach der Ursache. Tatsächlich, die junge Frau probte den Aufstand! Sie hatte sich so weit wie möglich ausgestreckt und angelte mit dem Fuß erfolgreich nach dem in weichem Bogen geschwungenen Bein des Wohnzimmertischs. Mit seinem gedrechselten Kastanienholz mochte der Tisch das wertvollste Stück der Wohnung sein, aber nicht deshalb versuchte die Gefangene ihn unter Kontrolle zu bringen, sondern offenbar wegen einer Schere, die zwischen einigem Nähzeug auf dem Tisch lag. Seufzend nahm er den Tisch hoch und stellte ihn ganz außerhalb der Reichweite der zierlichen Frau wieder ab. Was hätte das werden sollen? "Zeisig überwältigt streunenden Wolf und ersticht ihn mit einer Schere!", malte er sich vor seinem geistigen Auge die prallen Lettern einer Boulevardzeitung aus und amüsierte sich über die Vorstellung. Er ging zu der jungen Frau, hockte sich vor sie hin, zog die Augenbrauen hoch - ach, das konnte sie unter seiner Maske ja nicht sehen. Sie bemühte sich offenbar, keine Angst zu zeigen, aber das schnelle Heben und Senken ihrer Brüste verriet ihren wirklichen Gemütszustand. Was denkt die denn von mir? Dass ich ihr an den Kragen will? Sachte schloss sich seine Hand um ihren Oberarm, und mit dem Daumen streichelte er sie ein wenig. Eine brünette Haarsträhne, die ihr ins Gesicht hing, schob er behutsam mit dem kleinen Finger der anderen Hand zur Seite. Dann schüttelte er ein wenig den Kopf und ließ schnell wieder los - wer weiß, was sie jetzt wieder dachte.

Auf dem Rückweg zur Küche sah er auch nach dem Kind. Es hatte sich zur Seite gerollt und im Schlaf den linken Daumen in den Mund gesteckt, um sporadisch daran zu nuckeln. Im Übrigen schlief es ruhig und friedlich.

Noch immer war der erwartete Politiker nicht eingetroffen. Das begann ihn zu irritieren. Sollte der einen Schutzengel haben, der ihn vom Besuch der angekündigten Veranstaltung abhielt? Gab es eine derartige "höhere Gerechtigkeit"? Was immer man unter Gerechtigkeit verstehen mochte; immerhin waren auch schon Despoten Anschlägen entgangen. Inwiefern sein Handeln gerecht oder ungerecht war, darüber hatte er sich nie Gedanken gemacht, das widersprach seiner professionellen Berufsauffassung. Genau genommen wunderte er sich, dass es nicht viel mehr solcher Aufträge gab; nun gut, ein Arbeitsloser konnte sich einen Profi wie ihn nicht leisten, aber er hätte zumindest selbst aktiv werden können.

Aber der Minister war noch immer nicht da. Das machte ihn nun doch nervös. Er musste sich beschäftigen. Auf der Anrichte lag auch eine Schachtel mit einer offenbar neu erworbenen "Energiesparlampe", eine von jener Bauart, die angeblich umweltfreundlicher war als die alten Glühlampen und die wegen des enthaltenen Quecksilbers dennoch als Sondermüll entsorgt werden musste. Für die wirklich ökologische Variante, die LED-Lampe, mochte Melanie Zeisigs Geldbeutel nicht ausreichen.

War die Deckenlampe kaputt? Er betätigte den Schalter neben der Tür und fand seinen Verdacht umgehend bestätigt. Also stieg er auf einen Stuhl, schraubte die alte Lampe heraus und die neue Energiesparlampe hinein. Ging zum Schalter, betätigte diesen und - wieder brannte kein Licht! Das konnte er nicht auf sich sitzen lassen. Er untersuchte die herausgeschraubte, alte Glühlampe: der Wolframdraht - oder war es ein Kohlefaden? - schien in Ordnung. Nun stieg er vollends auf den Tisch, schraubte die alte Glühbirne wieder in die Fassung und nestelte die Verschalung der Lampenaufhängung herunter.

Draußen kam Bewegung in die Leute; stärker als bisher brandete Applaus auf und auch die Buh-Rufe wurden vernehmlicher. Er beugte sich zur Seite, um einen Kontrollblick aus dem Fenster zu werfen, und tatsächlich glaubte er jetzt auf dem Podium den angekündigten Minister zu erkennen. Egal, ein paar Minuten wird der schon bleiben...


III. Tränen

Die Lüsterklemme unter der Decke offenbarte den Schaden: Eines der Kabel war gebrochen. Ein abisoliertes Stück Draht steckte in der Klemme, daneben ragte ein Draht-Ende blind in den Raum, kaum ein Millimeter des Kupfers sah aus dem Plastikmantel. Probehalber führte er den Draht zum abgebrochenen Teil in der Klemme, sogleich ließ ihn ein knisternder Funkenregen zurückzucken: Das Kabel stand unter Spannung! "Attentäter stirbt beim Reparieren der Deckenlampe seiner Geisel!" Leise vor sich hin lachend kletterte er vom Tisch und knipste am Lichtschalter den Strom aus. Wenn der Schalter von genau so einem Dilettanten wie mir installiert wurde, dann unterbricht er womöglich die Erdung statt der Phase - dann wird das hier tatsächlich meine Abschiedsszene.

Achselzuckend stieg er wieder auf den Tisch. Draußen wurde gerade reichlich Applaus gespendet, gleichzeitig waren Trillerpfeifen zu hören. Der Politiker hatte wahrscheinlich bei Claqueuren aus der eigenen Partei Erfolg, bei anderen stieß er auf Widerstand.

Das Küchenmesser war eigentlich zu breit für die schlanken Plastikhälse, in denen die Klemmschrauben versenkt waren. Aber mit einigem Nachdruck gelang es schließlich doch, die Schraube so weit zu lösen, bis das abgebrochene Drahtende aus der Klemme fiel. Nun säbelte er mit demselben Messer ein Stück der Isolierung am blinden Draht ab - offenbar war der Schalter doch ordnungsgemäß installiert worden -, drückte den Draht in die Lüsterklemme hinein und drehte die Schraube, so gut es ging, wieder fest. Anschließend fummelte er das Drahtgewirr in die vorgesehene Plastikverkleidung und schob diese wieder bis dicht unter die Decke. Stieg vom Tisch, ging zum Lichtschalter und - jawohl, das Licht brannte. Befriedigt knipste er es wieder aus. Wäre ja auch gelacht ...

Erneuter Lärm aus Applaus und Pfeifen erinnerte ihn daran, dass er ursprünglich nicht als Elektriker gekommen war. Der Politiker würde doch wohl nicht bereits am Ende seiner Rede angekommen sein? "Attentäter verbummelt bei Lampenreparatur seinen Einsatz!" Diese Schlagzeile fand er nicht so witzig.

Aber ein Blick aus dem Fenster beruhigte ihn: Nichts deutete darauf hin, dass der Minister schon am Ende seiner Rede angelangt wäre. Zu viel gab es an der Arbeit der Regierung zu loben, Leistungen, die das Wählervolk offenbar nicht allein erkennen und würdigen konnte oder wollte. Ein letzter Kontrollgang ins Wohnzimmer zeigte ihm, dass dort alles in Ordnung war: Die Frau saß apathisch an der Heizung und ließ ihn gewähren. Naja, so ganz in Ordnung war das natürlich nicht. Er war sich darüber im Klaren, dass er sein Gegenüber in eine missliche Lage gebracht hatte. Als er am Bücherregal Papiere und einen Kugelschreiber entdeckte, notierte er in Druckbuchstaben den Tipp, dass die Frau später gegenüber der Presse so lange nichts sagen solle, bis sie einen wohldotierten Exklusivvertrag angeboten bekomme. So könne sie immerhin die Haushaltskasse aufbessern. Er hielt ihr den Zettel vors Gesicht, bis sie nickte; dann steckte er das Blatt ein. Würde sie seinen Vorschlag aufgreifen oder wollte sie nur Ruhe vor ihm haben? Es war dieses Mal schwieriger gewesen, ihrem fragenden Blick standzuhalten. Noch konnte sie ja auch nicht wissen, was er vorhatte. Rasch kehrte er in die Küche zurück.

Draußen war die Lage unverändert. Er nahm das Gewehr hoch und visierte erneut. Justierte das Zielfernrohr nach. Immer noch war von Wind nichts zu merken. Gut konnte er die Stirn des Redners in seinem Fernrohr ausmachen. Dort war sein Ziel. Hm ...

Hatte sich sein Auftraggeber überlegt, ob sich das wirklich lohnte? Würde der Tod des Ministers irgendetwas zum Besseren wenden? Wahrscheinlich nicht. Irgendein Nachfolger mit derselben Arroganz und Ignoranz würde weitermachen. Dessen war er sich sicher. Aber das war nicht sein Problem, er hatte den Auftrag angenommen, der in der Sprache der NATO wohl als "chirurgischer Eingriff" bezeichnet würde.

Der Minister bewegte den Kopf hin und her, entkam aber nur selten dem Visier, das auf ihn gerichtet war. Wieder brandeten Applaus und der Lärm von Trillerpfeifen auf. Jetzt hatte er ihn voll drin, er glaubte schier das Blut in dessen linker Schläfe pochen zu sehen, das Fadenkreuz stand ein paar Zentimeter über der Nasenwurzel. Der Schusskanal würde schräg von oben in die Gegend des Stammhirns führen, keine Überlebenschance. Ein kurzer Druck auf den Abzug, ein leichter Schlag des Gewehrkolbens gegen seine Schulter. Das Blut im Zielfernrohr pochte nicht nur, es sprudelte förmlich und mischte sich mit weißlicher Hirnmasse. Der Treffer hatte nicht hundertprozentig gesessen, ein Teil der linken Schädeldecke war weggesprengt. Er erinnerte sich, wie bei früheren Zielübungen auf Bäume mitunter ein Stück Rinde in ähnlicher Weise abgeplatzt war. Der Politiker brach zusammen.

Er selbst zog sich schnell vom Fenster zurück, hatte dasselbe schleunigst geschlossen. Das war's also. Der Eindruck, eine lästige Aufgabe erledigt zu haben. Er liebte seinen Beruf nicht. Keinerlei Gefühl von Befriedigung. Die reparierte Deckenlampe ein schwacher Trost.

Zügig zerlegte er das Gewehr in seine Einzelteile, verstaute alles im Köfferchen. Aufbruch. Ging ins Wohnzimmer, stellte den Tisch an den alten Platz, nahm zusätzlich die Schere und legte sie so, dass die Frau mit dem Fuß danach angeln und sie nach kurzer Zeit heranziehen konnte, fing ihren Blick auf, der bis tief unter seine Maske reichte, dann auf einmal wieder Tränen in diesen so sanften, grünbraunen Augen, wieso denn jetzt noch Tränen, verdammt? Sie musste doch sehen, dass sie es nun überstanden hatte! Er nickte ihr freundlich zu, drehte sich um und verließ mit seinem Köfferchen durch den Flur die Wohnung, unterwegs sich die Wollmaske vom Kopf ziehend und am Garderobenspiegel die Frisur ein wenig ordnend, bis ihn sein Spiegelbild weiter trieb. Im Treppenhaus war alles still, als er leise die Wohnungstür hinter sich zuzog.


© hajtext

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